Tagung auf Vilm Thema „Schrumpfung“

Bericht von der Tagung auf der Insel Vilm 17.-19.2.2011 Degrowth (Schrumpfung) als Chance

Nicht um die Frühjahrsdiät sollte es gehen, auch wenn diese durchaus auch wichtige und gesunde Anstöße geben kann.
Vom vergangenen Donnerstag bis Freitag Abend nahmen Annette und ich an einer  Tagung auf der Insel Vilm teil. Es sollte sich ein Kreis zwischen zwanzig und dreissig Personen zusammensetzen und über das Thema schrumpfende Städte, entsiedelte Räume, Rückbau, Renaturierung und neue Ansätze Stadt und Land zu bewohnen.

Das Land ist, besonders der Osten, von einer dramatischen Leerstandswelle bedroht, überall wird abgerissen und anderswo stopfen sich die Leute auf dem Haufen.
Warum? Will man das ändern oder organisiert man eine andere Lebenswelt in den Städten. Perforiert man die Städte, verkleinert sie wieder bis auf den alten Kern (inzwischen werden schon Gründerzeitviertel abgerissen), die Leute wollen so nicht mehr wohnen, sie sammeln sich auf den Flecken wo es sehr viel Arbeitsplätze gibt, aber auch ganz schön eng ist. Die Schrumpfung ist ein Prozess den wir in jedem Fall durchlaufen werden. Bei uns an der Küste, gehts noch irgendwie, weil uns der Tourismus am Leben hält, anderswo ist ein dramatischer Werteverfall im Gange. Erben schlagen die bauliche Hinterlassenschaft aus weil die Immobilie nichts wert ist und nur Geld kostet, andere können ihre Dächer nicht reparieren, weil eine Bank in bestimmte, dem Verfall preisgegebe Gegenden, kein Geld mehr stecken, trotz regelmäßigen Einkommens der dortigen Hausbesitzer.

Man sucht nun nach Lösungen, wie diese Prozesse zu bewerten sind,  man sieht  sich in der vergangenen Zeit um. Gab es ähnliche Krisen, wie sind die Menschen damit umgegangen? Wie soll der Staat, wie die Gesellschaft reagieren um diesen Prozeß zum mindesten  zu begleiten?

Gleichzeitig sind natürlich der arabische Aufstand, die Erhebung oder schon Revolution zu nennenden Weltereignisse der Hintergrund vor dem unsere kleine Tagung auf Vilm stattfindet.  Immer auch steht die Verknüpfung mit globalen Entwicklungen im Gespräch. Ein sich entwickelner „Weltstaat“ sucht seinen Weg. Die Insel ist auch im Winter ein zauberhafter Ort, man begegnet sich im ehemaligen Gesellschaftshaus der DDR Oberen, hier tanzte schon Honecker mit Margot. Die Atmosphäre ist freundlich, ein großes Hufeisen aus Tischen die Gäste blicken zumeist in Richtung der Panoramafenster auf knorrige Eichen die See und Rügen. So treibt das kleine Waldheiligtum Vilm vor der Küste wie ein Boot. Aber, und das sei gesagt, man begenet sich zum Arbeiten, es wird erwartet, daß man auch etwas zu sagen hat, um an der Sache Natur und Mensch weiterzuarbeiten. Man wird ausgezeichnet versorgt, hat ein kleines hübsches Zimmer in einem der Häuser, die sich in Doppelreihe In Richtung „Urwald“ ziehen, das man aber auch nur zum Schlafen aufsucht. Wenn man „Glück“ hat wird man in Honeckers Haus einquartiert, wo noch Vieles sehr originalgetreu aussehen soll.

Am ersten Tag, es geht um 9 Uhr los, ging es vor Allem um die urbanen Bereiche, also den Rückbau von Gebäuden oder die Förderung von neuen Strukturen, die sich auf den Brachen entwickeln. Es geht um Fehler, die gemacht wurden, um Perspektiven. Es wird viel über „Landwirtschaft in der Stadt“ gesprochen, und immer wieder ist die „Regionalisierung“ im Gespräch. Man sucht nach Wegen, die Wertschöpfung auf dem Land oder im Land zu behalten. Im Moment wird sehr viel Wertschöpfung von den Konzernen assimiliert, die dann von den Reichen abgefeiert wird.

Auf der anderen Seite verschwinden Bahnhöfe, Schulen, Postämter, in Tausendseelengemeinden macht die letzte Kneipe zu und die Leute sind wie gelähmt. Wo noch ein dichtes Vereinsnetz, oder eine funktionierende Dorfgemeinschaft besteht, fällt die Entwicklung weniger hart aus. Es gab einen Vortrag von Johannes Heimrath aus Klein Jasedow, einem anderen Ort der sich gut entwickelt, über die Resourcen- und Energieverschleuderung, die inzwischen das anderthalbfache dessen  ausmacht, was der Planet im Jahr an „Wachstum“ liefern kann. Und einem Bericht über Klein Jasedow, seine erfolgreichen Kommunikationsstrategien im Umgang miteinander, und mit der Dorfbevölkerung, der Umgebung, den Landwirten.

Seine Vortragsart brachte etwas Lebendiges in die Runde. Aber auch Barbara Muraca von der Uni Greiswald gab durch ihr Engagement und einen sehr engagierten Vortrag einen Überblick über die „Degrowth, Decr… , Degr…,“ -Bewegung. Eine in England, Italien, Frankreich und anderen Ländern  auch Deutschland entstandene Bewegung, die sich mit neuen  Organisationsformen des Zusammenlebens beschäftigt. Das hat immer auch mit Ökologie, Artenvielfalt, Energiekonzepten zu tun.

Es wird vermutlich auch gerade klar, daß eine regenerative Energie überall in ähnlichem Maße gewonnen werden kann und es deshalb sehr sinnvoll ist, daß Menschen auf dem Land leben.  In früheren Zeitaltern sind die Menschen auch den Energiequellen hinterhergezogen, dem Wald, dem Wasser und später  entstanden die großen Zentren im Zusammenhang mit der fossilen Energie. Inzwischen wird sogar das Land fast ausschließlich mit fossiler Energie versorgt, obwohl das nicht nötig wäre, wenn man die natürlichen Ressourcen vor Ort  bedenkt.

Der zweite Tag began mit einem Vortrag zu Nachhaltigkeit und Regionalismus. Es ging auch immer wieder bei diesem Vortrag darum, welche Handlungsaufgaben sich hinter den Begriffen, mit denen wir so verschwenderisch hantieren, verbergen.

Ein weiterer Vortrag brachte etwas Klarheit in den Bereich demographische Entwicklung. Wer lebt eigentlich gerade wo und wie könnte es in den nächsten zehn Jahren aussehen.
Dann wurden einige Beispiele von Entwicklungen dörflicher Gemeinschaften zum Thema. Überhaupt spielt die Erforschung von Dorfentwicklung eine große Rolle.

Dann berichtete ich von Schweikvitz, zunächst der landschaftlichen Lage am Rand des Moores, das den Venzer Burgwall umgibt, dann von der Bevölkerungsentwicklung und ein wenig zur Struktur, um dann im Schnelldurchlauf eine ganze Reihe von Photos zu zeigen, die für sich sprachen und den „Geist“ dieses Ortes ganz gut transportierten.

Aus dieser Position des „und alles ohne Fördermittel…“ äußerte ich noch einige Anregungen, wie eine Hilfestellung für Menschen, die sich mit ihren wild zusammengewürfelten Existenzen gern auf dem Land ansiedeln, von den bestehenden Verwaltungsstrukturen jedoch nicht unterstützt werden können, da ihre „Kategorie des Lebens“ so nicht vorgesehen ist. Außerdem spielte in meinem Vortrag auch das „Etwas hinterlassen, Etwas aufbauen“ eine wichtige Rolle.

Im Anschluß an einen Vortrag über die Umgestaltung einer ehemaligen Industrieregion, der Unterlausitz, mit Hilfe der IBA der „Internationelen Bauausstellung“, sahen wir eine Filmdokumentation „Henners Traum“, die sich mit einem Megatourismusprojekt beschäftigt, das, von Politik, (Roland Koch) stark gefördert, noch ganz dem alten Wachstumsdenken verhaftet grandios versickert. Da sieht man auch endlich mal, wie unser schönes Geld, also unsere Arbeitskraft und Lebenszeit von Politikern, Konzernlenkern, Botschaftern, Lobbyisten und Gaunern verfeiert wird.

Die Insel Vilm wurde während unserer Tagung vom Eis umschlossen, so daß uns der letzte Abend nicht mehr in lockerer Runde in Honeckers Partysaal, sondern auf Julchen der Heimatinsel entgegen schaukeln sah um dem drohenden Festfrieren zu entkommen.
Es bleibt die Idee im Juni eine Tagung in Schweikvitz zum Thema.„Das Dorf als Zukunftsprojekt“ zu veranstalten. Dazu bald mehr.

Inzwischen hat sich das libysche Volk erhoben, an den Außengrenzen Europas rumort es. Italien zieht die Luftwaffe im Süden zusammen. In Wisconsin stehen die Arbeiter auf, in China gab es Proteste von Tausenden. Die Ereignisse überschlagen sich.

Im Dorf ist es ganz ruhig. Wir haben Frost, seit Tagen und gute Sonne.Die Felder sehen recht kahl aus, Der Winter hatte die Saaten kalt erwischt. Man sieht fast überall, daß der Humus auf Rügen fast aufgebraucht ist. Sandige Böden oder Lehm, hart wie Stein bei Trockenheit, herrschen vor.
Die Schöpfwerke laufen auf Hochtouren, obwohl es sein könnte, daß wir schon auf die nächste Trockenperiode zugehen.
Trotz Wind wird heftig Dünger gesprüht. Dieses ganze Zeug atmen wir hier ein. Gift und Düngerstaub, Eltern und Kinder, Alte und Touristen, und all das, damit Konzerne, Börsen und Industrielle Landwirte ihre Partys weiter feiern können, Arm in Arm mit ……

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